OnlineItalien 10.2023

ITALIEN 11 Uns hat es der Verlag auch geschenkt. ICH BIN EIN OBERBARMER von Uwe Becker Mich macht es immer betroffen, wenn schlecht über den Stadtbezirk Oberbarmen gesprochen wird. Über den Stadtteil Barmen machen viele schon Witze, als würden dort nur geistig minderbemittelte leben. Wenn man wie ich in Unterbarmen wohnt, kommt man gerade noch ohne viel Häme mit einem blauen Auge davon. Aber wer in Oberbarmen sein Lager aufgeschlagen hat, der ist für die meisten Leute wohl endgültig vom rechten Weg abgekommen. Was natürlich kompletter Unsinn ist. Genau das Gegenteil ist eigentlich der Fall. Klar, hier leben viele Menschen, denen es finanziell nicht so gut geht, daher ist die Kriminalitätsrate etwas höher als im Briller Viertel. Wie man sich zu unrecht bereichert, da sind der Fantasie allerdings keine Grenzen gesetzt, egal wo man logiert. Wer weiß, vielleicht hat sich dereinst in Oberbarmen jemand gesund gestoßen und konnte sich später am Brill eine Villa zulegen. In Oberbarmen leben Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und der überwiegende Teil geht einer geregelten Arbeit nach. Viele Kinder gehen dort aufs Carl-DuisbergGymnasium. Es gibt Arztpraxen, ein Kino (noch!), Einzelhändler, Nagelstudios, Übersetzungsbüros und ausgezeichnete Gastronomie, Handy-Shops, Supermärkte und Sportvereine. Im Juni erst wurde der BOB Campus eröffnet. Ein neuer Ort auf dem Gelände einer ehemaligen Textilfabrik: mit einer Kita, Schulräumen, Gewerbe- und Gemeinschaftsflächen, Wohnungen und einem Nachbarschaftspark. Oberbarmen ist nicht nur der Berliner Platz, der zugegebenermaßen für viele ein Angstraum ist. Ich habe meine gesamte Kindheit dort verbracht, der Ton war rauher, meine Gang vom Wupperfelder Markt machte keine Gefangenen, aber wenn Mutter aus dem Fenster rief, gingen wir alle brav nach Hause, schuldig, hungrig und durstig. Und, hat es mir geschadet? Darüber gibt es gegensätzliche Auffassungen. Heute, im Alter gereift, denke ich, nein, die Zeit hat mich gehärtet und geformt. Ich kann heute sagen, und hierfür schäme ich mich auch nicht, ich bin stolz Oberbarmer zu sein! Auch wenn ich in Elberfeld geboren bin und wir in Heckinghausen wohnten, das nicht wirklich direkt zu Oberbarmen gehört. Aber wie oft haben die Mächtigen dieser Welt Grenzen zu ihrem Nutzen verschoben oder gar aufgehoben, es kommt nicht so drauf an. Oberbarmen, Wupperfeld, Rittershausen, Wichlinghausen, Nächstebreck, Namen der einzelnen Bezirke, die wie Musik in meinen Ohren klingen. Wenn ich eine Reise in die Vergangenheit machen könnte, würde ich gerne nochmal als Zwölfjähriger bei 30 Grad im Schatten die Schwarzbach in Oberbarmen hochlaufen, um oben am Ziel im Freibad Mählersbeck stark erhitzt ins Nichtschwimmerbecken zu springen. So bescheiden können Wünsche sein, wenn man mit sich im Reinen ist, aber gleichwohl die spärliche, gesetzliche Rente aufbessern muss. Ich liebe einfach Wuppertal. Jeder Stadtbezirk ist für mich wie ein Kind, ob Barmen, Elberfeld, Vohwinkel, Cronenberg, Ronsdorf oder Beyenburg. Und alle diese Kinder sind unterschiedlich und liebenswert. Allerdings ist Barmen mein Lieblingskind, Barmen ist zwar schwierig und störrisch und gespalten, aber, wie viele schwierige Kinder, höchst intelligent und kreativ. Oft will Oberbarmen allerdings etwas anderes als Unterbarmen, da hilft dann am Ende manchmal nur ein Machtwort. Wenn es dafür einen Etat gäbe, wäre ich gerne Nachtbürgermeister von Barmen, für tagsüber gibt es ja einen. Wenn ich dann gegen Mitternacht in meinem schwarzen Kampfanzug mit Stahlhelm und zwei Dobermännern die Berlinerstraße und zurück bis zur Friedrich Engels-Allee Höhe Media-Markt schreite, werden hier wie dort alle kriminellen Handlungen eingestellt. Mein Führungszeugnis ist bestimmt blütenweiß, so dass einer Ernennung dann nichts im Wege stünde. Sicherheitshalber sollten Polizeipräsident Markus Röhrl und der Beigeordnete für Schutz und Ordnung, Matthias Nocke, sowie der Internationale Bund vorab bitte genau auf mein Zeugnis schauen, damit ich nicht umsonst ernannt werde. Aber insgeheim hoffe und glaube ich, dass es auch ohne mich gut geht und sich alles bald zum Besseren wendet.

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