OnlineItalien 02.2024

ITALIEN 7 Situationship, Love-Bombing und Ghosting: Moderne Partnersuche Früher war alles besser oder wenigstens überschaubarer: Man trat mit 16 als Lehrling in die Firma ein, in der schon Vater und Großvater „schafften“, heiratete mit 23 die reizende Blonde, die man bereits im Sandkasten kennengelernt hatte, und beschränkte seinen Lebensradius – sieht man mal von Flugreisen in exotische Feriengebiete ab – auf „die Scholle“ am Rande des Felderbachtals. (Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären hier rein zufällig.) Spätestens das Internet machte dieser Behaglichkeit den Garaus. Weil dem Internet die ehemalige Zonengrenze zwischen internationaler Metropole und der Walachei völlig schnurz ist, schwappt immer schneller ins Bergische Land rüber, was in New York so gerade für Welle gehalten wird, zuletzt die erstaunliche Kongruenz von Arbeitsmarkt und sog. „romantischen“ Beziehungen. Nur wenige Menschen sind dauerhaft wirklich gerne alleine, nur wenige Menschen mögen sich dauerhaft an die Macken anderer Menschen gewöhnen, und weil das Internet einem vorgaukelt, die Welt sei voller reizender und an einem selbst interessierten Menschen, macht man da auch keine Kompromisse mehr. Vielmehr wird munter herumge-„dated“, was gelegentliche Treffen meint, bei denen es durchaus „zum Äußersten“ kommen kann (Geschlechtsverkehr), die aber ansonsten unverbindlich bleiben. Die Zeiten, in denen der Weg in die „Knickers“ ausschließlich über den Verlobungsring führte, sind ja selbst in Wermelskirchen vorbei. Was man möchte, vor allem, was man nicht möchte, das wird in Dating-Portale eingetragen, von denen das bekannteste derzeit vermutlich „Tinder“ also „Anmach-Holz“ heißt. Von Tinder lernen heißt auch, was für den Arbeitsmarkt lernen, der in der hypernervösen Moderne nun gar nicht mehr einen lebenslangen Eintritt in eine Firma bedeutet, sondern irgendwas zwischen flüchtiger Bekanntschaft (Job, Praktikum, Hospitanz) und Keuschheitsgelübde (ich-AG). Die Tinders des Arbeitsmarkts heißen Indeed, LinkedIn, Xing, Stepstone oder so ähnlich, jedenfalls suggeriert dir ihr Name, dass die Recruiter ganz heiß darauf sind, dich und nur dich einzustellen, denn du hast sie mit deinem Profil überzeugt und sie haben es nicht innerhalb von 15 Sekunden in die Tonne verfügt. Man fragt dich nach einem „date“, einem unverbindlichen Kennenlernen. Möglicherweise wird daraus ein Angebot, mal eine Weile unbezahlt reinzuschnuppern, aus der „situationship“ also möglicherweise eine geregelte „relationship“ zu machen, ein richtiges Arbeitsverhältnis mit echtem Gehalt. Wenn Verzicht auf Gehalt dich finanziell nicht juckt, kannst du natürlich deine Situationship als „imaginationship“ dauerhaft fortführen, also an ein richtiges Arbeitsverhältnis in ferner Zukunft nach dem Lebensmotto glauben: Sei treu wie Gold und doof wie Scheiße. Eine Art Mittelweg zwischen Traumtanz und echtem Gehalt heißt „breadcrumbing“, du wirst also krümelweise nach unbezahlten Leistungen gefragt. Wenn man dich mal eine Zeitlang in Ruhe lässt, „ghosted“ man dich, reagiert also auch nicht mehr auf deine Kontaktversuche, oder man „loved-bombed“ dich, sagt dir also mehrmals am Tag per SMS, wie wichtig dein Talent für die Zukunft der Firma ist. Man kann dich natürlich auch auf die Ersatzbank setzen („benching“). Da sitzen schon ganz viele, das weißt du nur noch nicht, und alle hoffen auf ihren Einsatz, ihren „gig“, falls mal jemand mit dem Fuß umknickt und eine individuelle SMS an jeden auf der Bank rausgeht: „Hi, you up?“

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