OnlineItalien 02.2024

ITALIEN 15 DIE PHÄNOMENE DES DR.DUDROP Heute: Zur Phänomenologie des Fracksausens Buch Jule Falk Andreas Funke, Gedichte Juliane Steinbach, Holzschnitte Laubsägefisch/ Maritime Seelen Selbstverlag Format 24 x 31 cm 40 Seiten 45 Euro Auflage 200 ISBN 978-3-9824801-0-7 steinbach@kuester-steinbach.de 1 JAHR ITALIEN 25 EURO // FÖRDER-ABO 50 EURO // SUPER-FÖRDER-ABO 100 EURO // EINFACH ÜBERWEISEN AN: ITALIEN-MAGAZIN, STADTSPARKASSE WUPPERTAL // IBAN: DE46 3305 0000 0000 9048 47 Das Fracksausen ist ein Frack-Sausen: es saust der Frack. Und, ganz überraschend - im modernistischen Alltags-Verständnis ist der Frack eine Hose. Dies erst einmal vorab. Rein faktisch aber gilt der Frack als festliches Kleidungsstück und nicht als gewöhnliche Beinbekleidung. Es handelt es sich um einen taillierten Rock mit Schößen, der von distinguierten Vertretern der Oberschicht getragen wird, und zwar zu außergewöhnlichen Gelegenheiten, etwa zu Staatsempfängen und Opernbällen. Doch auch Dressurreiter und Oberkellner bedienen sich seines elitären Chics. Zu erinnern sei hier an den Butler James alias Freddie Frinton, der alljährlich zu Sylvester Millionen Fernsehzuschauern und seiner Dame Miss Sophie den 90. Geburtstag versüßt. Ein Sausen als akustisch wahrnehmbares Phänomen ist dabei indes nicht zu vernehmen. Unter Sausen versteht man landläufig ein anhaltend starkes, bisweilen scharfes oder auch summendes Geräusch von gleichmäßigem, bisweilen aber auch an- und abschwellenden Stärkegrad. Andererseits jedoch bezeichnet Sausen eine schnelle Fortbewegung. Fräcke allerdings bewegen sich weder fort noch erzeugen sie ein anhaltend starkes und bisweilen scharfes oder auch summendes Schallereignis. Beim Fracksausen geht es vielmehr um ein abdominelles Rumoren, verbunden mit Flatulenz und dem Bedürfnis, sausend schnell ein Abort aufzusuchen. Dort erleichtern die Frackschöße offensichtlich das Abführ-Geschäft: die Herren James und Schockemöhle klappen sie im Falle einer Unterbrechung von Dinner oder Turnier einfach in Windeseile nach oben. Saust also der Frack, eilt sein Träger zum Klo, und zwar mit erhöhter Geschwindigkeit.Anderenfalls saust etwas in die Hose, und das ist mit Geruchssensationen der unangenehmen Art verbunden. Das wiederum würde nicht als Fracksausen bezeichnet, sondern mit dem der medizinischen Fachsprache entlehnten Begriff der Enkopresis. Auch im Tierreich hat der Frack seit Jahrtausenden seine Anhänger. Vor allem Pinguine zeigen hier ein außergewöhnliches ästhetisches Bewusstsein. Dabei ist nicht ganz klar, ob es bei ihnen zum Sausen kommt. Zwar sausen sie durch die arktischen Meere, befleißigen sich auf dem Festland jedoch eines eher unsportlichen Watschelns. Angesichts der Klimakrise erscheint es dabei nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich unter den Pinguinen längst ein gewisses Fracksausen eingestellt hat. Denn nicht nur bei der Spezies der Pinguine ist das Fracksausen Ausdruck einer inneren Anspannung und Aufregung. Während den humanoiden Eishockey-Aktivisten der Krefeld Pinguine Fracksausen durchaus geläufig ist, sind Staatsmännern und Orchesterchefs solche Empfindungen in der Regel fremd. Fracksausen kann bei ihnen deshalb nur selten beobachtet werden. Vielmehr ist es eine verbreitete Erscheinung bei Prüflingen aller Art. Fahrprüfungen, Staatsexamen und Steuerfahndungen lösen regelmäßig Fracksausen aus, obwohl in diesen Situationen nun gerade kein Frack getragen wird. Hier offenbart die deutsche Sprache eine gewisse Inkonsistenz. Trotzdem spiegelt sie nicht ganz unzutreffend die Idee des Fracksausens wider: auch wenn es gerade nicht der Frack ist, der saust, und die, die es in einer angespannten Situation zur Latrine drängt, mit keinem solchen bekleidet sind. Aber - so ist die Welt von heute. Das müssen wir akzeptieren. Und im Osten der Republik, das sollte hier nicht unerwähnt bleiben, haben vier junge Männer, Mitglieder des Opernchores der Stadt Erfurt, aus ihrer Not(-durft?) eine Tugend gemacht: „Fracksausen“ nennen sie ihr Gesangs-Quartett. Ob das nun programmatisch gemeint ist und die Frackschöße zum dargebotenen Liedgut rhythmisch herumsausen, das bleibt das Geheimnis der vier Thüringer Kulturheroen. Auf jeden Fall aber dürfte es eine Anregung für das Wuppertaler Kulturleben sein: Frack-Sausen – ein neues Projekt für das Pina-Bausch-Ensemble.

RkJQdWJsaXNoZXIy NDk1NjA=